S. – Das Schiff des Theseus

Direkt vorneweg die schlechte Nachricht: dieses  – in meinen Augen – einzigartige Buch ist leider vergriffen. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hatte von Anfang an nur eine einmalige Auflage angekündigt. Grund dafür waren die hohen Produktionskosten und –zeiten. Dennoch möchte ich Euch dieses Buch nicht vorenthalten! Und vielleicht habt Ihr Glück und findet es noch das eine oder andere Exemplar in der Buchhandlung Eures Vertrauens oder im modernen Antiquariat.

Auf der Suche nach einem schönen Buch für mein Regal stöberte ich durch die Buchhandlungen meiner Stadt und fand einen recht dicken Wälzer, den jemand dort offensichtlich vergessen hatte. Auf den ersten Blick schien es aus den 60er oder 70er Jahren zu sein. Die Nummern auf dem Buchrücken wiesen es als Leihexemplar aus. Deshalb nahm ich es in die Hand um den entsprechenden Besitzer zu suchen und dabei fiel eine Postkarte heraus. Ich hob sie auf und – ich gestehe – las die Nachricht, in der Hoffnung, einen Hinweis zu bekommen. Ich weiß gar nicht genau, wann ich stutzig wurde. Aber irgendwas stimmte nicht mit der Karte, sie schien aus Brasilien geschickt worden zu sein und es ging um Vögel. Doch selbst als ich daraufhin das Buch öffnete, klingelte es nicht bei mir. Um die ganze Geschichte abzukürzen: irgendwann ging auch mir ein Licht auf! Dieses Buch ist tatsächlich mit Absicht wie ein Leihexemplar gestaltet worden. Das hat mich echt mal umgehauen.

Die eigentliche Geschichte, also der Roman „Das Schiff des Theseus“, des fiktiven Autors V.M.Straka vermischt Agententhriller aus den 50er Jahren, Zeitreise und Kritik gegen das herrschende Establishment. Allein dieser Roman hat mich schon überzeugt, auch wenn er ziemlich anspruchsvoll geschrieben wurde. Doch das ist nur ein erster Handlungsstrang. Nicht nur weiß keiner, wer der  mysteriöse Straka eigentlich war, er konnte das Buch vor seinem Tod auch nicht mehr beenden. Deshalb stellt sich seine langjährige Übersetzerin F.X. Caldeira  der Herausforderung, das letzte Kapitel zu vervollständigen und sämtliche angebliche Hinweise zur Identität Strakas in langen und nicht immer eindeutigen Fußnoten zu diskutieren.

Beim Durchblättern des Romans stößt man auf die Notizen von Eric, einem Doktoranden, der es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht hat, die wahre und bisher ungeklärte Identität des Autors zu enthüllen. Anhand weiter Anmerkungen in einer anderen Handschrift erfährt man, dass dieses Buch mitsamt den persönlichen Notizen von Eric, der Studentin Jen in die Hände gefallen ist. Diese ist von ihrem Studium und Leben desillusioniert und steigt mit vollem Einsatz in die Suche nach Straka ein. Und natürlich ist sie auch von Eric fasziniert, was der Leser anhand des schriftlichen Austauschs schnell erkennen kann. Doch schon bald werden die Kommentare vorsichtiger, ängstlicher und es deutet sich ab, dass das Mysterium Straka auch einen unheilsamen Einfluss auf das Leben der beiden Suchenden hat. Deutlich wird das auch durch die unterschiedlichen Farben der handschriftlichen Seitenrand-Kommentare, denn diese spielen in unterschiedlichen Zeitsträngen.

Zusätzlich finden sich in regelmäßigen Abständen Postkarten, Servietten mit handgezeichneten Karten, Fotos, Zeitungsausschnitten oder Briefen, die wirklich täuschend echt aussehen und sich alle um die Identitätsklärung von Straka drehen.

Klingt kompliziert? Das ist es auch. Nicht umsonst schreibe ich eine für mich ungewöhnlich lange Rezension. Ich habe dieses Buch bereits viermal von vorne bis hinten und umgekehrt durchgearbeitet. Ich verwende bewusst das Wort „arbeiten“, denn ein kontinuierlicher Lesefluss ist gar nicht möglich. Immer wieder springt man Kapitel zurück, um einen Handlungsstrang besser nachzuvollziehen oder nicht komplett den Überblick zu verlieren. Ich habe teilweise mit Laptop vor dem Buch gesessen, um immer wieder Worte, Zeiten oder auch Namen zu recherchieren. Im Internet hat der Verlag eine „Gebrauchsanweisung“ online gestellt, wie das Buch gut zu lesen ist. Dort gibt es auch Hinweise, wo welche Beilagen ihren Platz haben. Mir ist nämlich tatsächlich das Buch runtergefallen und alle Beileger hatten sich selbstständig gemacht. Ohne diese Anleitung wäre ich verloren gewesen, auch wenn im Internet teilweise empfohlen wird, die Beilagen beim ersten Lesedurchgang einfach beiseite zu legen.

Um meine Rezension zusammenzufassen: Das Schiff des Theseus ist in meinen Augen eines der ungewöhnlichsten,  anspruchsvollsten und spannendsten Bücher, die ich je gelesen habe! Ich kann Euch nur empfehlen, sich sofort auf die Suche zu machen und noch ein Exemplar aufzustöbern.

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QualitätGestaltungPreis/LeistungEinzigartigkeitDanke für die Unterstützung!

Bibliografische Daten meines Exemplars:

J. J. Abrams, Doug Dorst

S. – Das Schiff des Theseus (Limitierte Auflage)

Verlag: Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015

ISBN:  978-3-462047-26-4

Gebundene Ausgabe mit Schuber,  522 Seiten,

45,00 Euro

 

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2 Comments

  1. Huhu
    Ich habe dieses Buch auch in meinem Regal stehen. Bisher aber hatte ich leider keine Zeit dieses Buch zur Hand zu nehmen, denn ich denke das man sich dafür wirklich Zeit nehmen muss.
    Das kann man, so denke ich, nicht einfach so nebenbei lesen.
    Hoffentlich lässt sich das bald ändern.

    Liebe Grüße
    Lilly

    • Tom

      Hi Lilly!

      Ich habe es bislang tatsächlich auch nicht geschafft zu lesen. Maria hat es wohl fast durchgearbeitet. Allerdings drehe man sich bei der Lektüre im Kreis, meint sie. Bleib stark, irgendwann wird das schon was. Immerhin kann man es staunenden Besuchern auch so präsentieren, ohne es studiert zu haben. Wir haben uns übrigens immer gefragt, ob es auch andere vergleichbare Bücher gibt. Hast du vielleicht einen Tipp für uns?

      Viele Grüße!

      Tom

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